Der politsche Brief aus Berlin

27.10.2009

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde,

die Bundestagswahl am 27. September endete für die Sozialdemokratie bundesweit mit einer katastrophalen Niederlage. Die SPD hat seit Bestehen der Bundesrepublik mit nur 23% ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist von 222 Abgeordneten auf 146 Sitze geschrumpft und wird zukünftig ihren Platz auf den Bänken der Opposition einnehmen. Die Sozialdemokratie verliert mit dieser Wahl nicht nur ihren Platz in der Regierung, sondern auch gesellschaftliche Gestaltungsmacht. In vielen Wahlkreisen wird es in Zukunft keine SPD-Abgeordneten mehr als Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger geben.
Zudem fallen Hunderte Arbeitsplätze hoch qualifizierter Mitarbeiter von Abgeordneten und der Fraktion weg. Die Partei wird ebenfalls auf allen Ebenen die Auswirkungen noch zu spüren bekommen.
Auch das in der Vergangenheit für die SPD stets sichere Direktmandat in Eimsbüttel ist mit einem Paukenschlag verloren gegangen. Die SPD hat rund 32.000 Stimmen verloren, ihren Erststimmenanteil von 45,1% im Jahr 2005 auf 23,8% im Jahr 2009 nahezu zu halbiert und landet im Wahlkreis auf dem abgeschlagenen dritten Platz noch hinter Krista Sager von den Grünen. Rüdiger Kruse, dem ich bereits zu seiner Wahl gratuliert habe, konnte so zum ersten Mal seit 1949 mit gerade einmal 31,3% den Wahlkreis für die CDU gewinnen.
Ich bin überzeigt davon, dass die Menschen in Eimsbüttel auch weiterhin für die SPD zu gewinnen sind. Aber damit wir in vier Jahren eine Chance haben den Wahlkreis 21 zurück zu erobern, müssen wir uns als Partei neu aufstellen. Es gilt sowohl in Eimsbüttel, als auch auf Bundesebene das Wahlergebnis offen und ehrlich auszuwerten.
Unser Wahlprogramm und unser Hamburger Grundsatzprogramm waren und sind gut. Die Themen, die die Menschen bewegen, sind sozialdemokratische Themen. Aber trotzdem müssen wir feststellen, dass der SPD nicht mehr vertraut wird.
Nach elf Jahren in der Regierung können wir mit stolz auf unsere Erfolge zurück blicken. Deutschland ist heute ein weltoffeneres, liberaleres Land. Gemeinsam haben wir die Energiewende angestoßen und dafür gesorgt, dass der Sozialstaat sich in der größten Krise der Nachkriegsgeschichte bewährt hat. Und Deutschland hat durch Gerhard Schröders „Nein“ zum Irak-Krieg international an Ansehen gewonnen.
Aber viele Beschlüsse, wie die Rente mit 67, haben die Menschen auch vor den Kopf gestoßen. In der SPD sind in den letzten Jahren viele Entscheidungen von einem immer kleineren Kreis getroffen worden. Am Ende waren unsere Debatten nicht mehr interessant - weder für die eigenen Mitglieder noch für die Gesellschaft. Und auch die Art und Weise wie wir innerhalb der SPD miteinander umgegangen sind, hat viele Menschen verschreckt.
Wenn wir unsere Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen wollen, dann müssen wir das ändern. Dazu müssen wir uns Zeit nehmen, um über das zu sprechen, was in den letzten Jahren nicht funktioniert hat. Ein „Weiter so“ und eine Rückkehr zur „Basta-Politik“ wird es nicht geben. Der vom Parteivorstand vorgeschlagene Kandidat für den Parteivorsitz, Sigmar Gabriel, hat dies in einem Brief an besorgte SPD-Mitglieder ebenfalls gefordert. Mit der Verjüngung von Partei- und vor allem der Fraktionsspitze haben wir nun eine Chance einen ersten Schritt zu tun. Die SPD braucht eine offene, kritische und vielleicht auch manchmal unbequeme Diskussion über politische Inhalte. Dann werden wir auch wieder interessant für soziale Bewegungen, Gewerkschaften und engagierte Bürgerinnen und Bürger. Denn im Gegensatz zur CDU ist die Sozialdemokratie kein Kanzlerwahlverein.
Aber wir dürfen bei aller Enttäuschung über das Wahlergebnis auch nicht vergessen, dass uns zehn Millionen Menschen ihr Vertrauen geschenkt haben. Deshalb muss die SPD jetzt die Meinungsführerschaft in der Opposition behaupten. Dass uns in Deutschland eine Wahlperiode der sozialen Kälte unter Schwarz-gelb droht, zeigt die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP. Mit der Einführung der Kopfpauschale steht die solidarische Finanzierung der Krankenversicherung auf der Kippe. Massive Steuersenkungen werden die staatliche Handlungsfähigkeit noch weiter schwächen und zu weitern Einschnitten führen. In der Energiepolitik steht unser Land vor einer grundlegenden Wende. Der Atomausstieg soll rückgängig gemacht werden und die großen Energiekonzerne werden ihre Profite auf Kosten der Allgemeinheit maximieren. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass wir in den nächsten Jahren eine handlungsfähige Opposition brauchen.
Nach vier Jahren endet am heutigen Tage mit der Konstituierung des 17. Deutschen Bundestages auch meine Zeit als Eimsbüttler Bundestagsabgeordneter. 610 Gesetze hat der Bundestag in der letzten Wahlperiode verabschiedet. 111 mal wurden im Hohen Haus namentliche Abstimmungen angesetzt und insgesamt 3.245 Kleine und 63 Große Anfragen an die Bundesregierung gestellt. 16 Stunden und acht Minuten dauerte die längste Plenarsitzung. Insgesamt 26.475 Seiten stenografische Berichte der Plenarsitzungen wurden von der Bundestagsverwaltung angefertigt.
Meine vier Jahre als Abgeordneter waren geprägt von der Großen Koalition mit ihren Höhen und Tiefen und natürlich von meiner Arbeit im Auswärtigen Ausschuss. Insbesondere die Arbeit zu Afghanistan ist dabei nicht immer leicht gewesen. Dass ich dazu beitragen konnte, die Mittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus zu erhöhen, hat mir viel bedeutet. Umso enttäuschender ist es jetzt, dass die neue Regierung diese Beschlüsse nun wohl rückgängig machen wird.
Vier Jahre Bundestag waren aber auch vier Jahre intensive Arbeit in Eimsbüttel. Bei meinen regelmäßigen besuchen in Schulen, Betrieben und bei sozialen Einrichtungen habe ich nicht nur viel gelernt, sondern auch manches mit nach Berlin nehmen können. Für die unzähligen Anregungen möchte ich mich herzlich bedanken. Besonders schön waren die Momente, in denen ich Menschen, die mich in meiner Sprechstunde aufgesucht haben helfen konnte. Die Arbeit in und für Eimsbüttel hat mir stets gezeigt, dass der heimatliche Wahlkreis der Ausgangspunkt aller politischen Arbeit ist und bleibt. Ich möchte deshalb noch einmal allen danken, mit denen ich in den vergangenen Jahren zusammenarbeiten konnte und durfte.
Auch nach meinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag werde ich mich nicht aus der Politik zurückziehen. Auf dem Bundespartei Mitte November in Dresden bewerbe ich mich erneut für einen Platz im SPD-Parteivorstand.
Über meine neu gestaltete Website bleibe ich selbstverständlich auch weiterhin für die Menschen in Eimsbüttel, ebenso wie über die Emailadresse kontakt@nielsannen.de , jederzeit ansprechbar.

Herzliche Grüße

Niels Annen